Konflikte lösen ohne Machtkampf

Konflikte lösen ohne Machtkampf

Konflikte lösen ohne Machtkampf:
Bedürfnisse in der Familie erkennen und Unden
Ein Gastbeitrag von Fiona | unverbogenkindsein.de

„Familie funktioniert nicht ohne Reibungen und Konflikte. Und das ist auch gut so!“

Wenn es eine Utopie einer perfekten bindungsorientierten Bilderbuchfamilie gibt, dann sieht sie wohl so aus, dass jeder Tag harmonisch und konfliktfrei verläuft, die Kinder barfuß umhertollen, die Eltern sich selig zurücklehnen, und niemals ein Nein fallen muss. Weil sowieso ja alle aufeinander und auf die Bedürfnisse in der Familie achten. – Aber Hand aufs Herz: So funktioniert Familie nicht. Wir lieben uns. Wir streiten uns. Wir vertragen uns. Familie funktioniert nicht ohne Reibungen und Konflikte. Und das ist auch gut so! – Wo sonst, wenn nicht hier, sollte ein Kind Streitstrategien kennenlernen?

In einer Familie kommen unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammen, und das führt zu Konflikten. Es ist Quatsch zu glauben, dass Bindungsorientierung Konflikte vermeidet, lieber einmal mehr Ja sagt, um der Harmonie Willen.
Meine Tochter und ich streiten ständig, aber wir finden (fast immer) gute Wege da raus.
Wie wir Konflikte mit unseren Kindern lösen, ist nicht irrelevant. Wie wir Konflikte lösen, gibt nämlich unseren Kindern die Werkzeuge in die Hand, wie sie es einmal tun werden.

„Mit der nach unten gerichteten Machtausübung leben wir eine Streitstrategie vor, bei der der Mächtigere gewinnt.“

Konflikte in der Familie lösen
Reagieren wir auf Konflikte mit unseren Kindern mit Machtmissbrauch und werden unfair, geben wir auch diese Strategie an sie weiter. Es ist der bequemere Weg: Im Konflikt mit unserem Nachwuchs sitzen wir am längeren Hebel: Ein Machtwort, ein Verbot, eine Gehorsamserwartung. Unsere (kleinen) Kinder können sich dagegen nicht wehren. Über den Sinn und Unsinn von Verboten habe ich auf meinem Blog hier geschrieben. Das Verheerende: Mit der nach unten gerichteten Machtausübung leben wir eine Streitstrategie vor, bei der der Mächtigere gewinnt.

Wie können wir stattdessen mit Konflikten in der Familie umgehen? Wir können erstmal empathisch auf unsere Kinder reagieren, auf Augenhöhe gehen und gewaltfrei kommunizieren. Das heißt nicht, immerzu den Wünschen des Kindes nachzugehen. Wir können auch ein klares Nein kommunizieren und die Verantwortung für die Emotionen tragen, die es auslöst. Das heißt: Emotionen achtsam begleiten, statt sie abzuerziehen.

Ein Nein, wenn wir Nein meinen ist wichtig. So zeigen wir unserem Kind, dass Bedürfnisse im sozialen Miteinander nach ihrer Dringlichkeit abgewogen werden, dass jeder zählt. Und, dass wir die Verantwortung für uns selbst und unsere Grenzen übernehmen.

Wenn keine Gefahr in Verzug ist, die ein unmittelbares Eingreifen notwendig machen, lohnt es sich, einen Moment länger über eine gute Lösung für Konflikte nachzudenken. Erzieherische Strategien wie Verbote liegen den meisten von uns auf der Zunge, wenn das Bedürfnis unseres Kindes mit unserem Wohlbefinden kollidiert. Besser ist es aber, nach Lösungen zu suchen, die weder uns noch unser Kind nachteilig behandeln. Diese Strategie ist das sogenannte Unden: Das Zusammenbringen von beiden Bedürfnissen.

„Beim Unden nämlich werden die zugrundeliegenden Bedürfnisse aller Parteien erfüllt.“

Bedürfnisse in der Familie erkennen und Unden
Unden ist nicht gleichzusetzen mit einem Kompromiss, wobei die Unterscheidung in der Praxis zugegeben manchmal nicht ganz eindeutig ist. Beim Kompromiss wird als Lösung für Konflikte ein Mittelweg gefunden, der Einbußen auf beiden Seiten fordert. Kompromisse sind manchmal durchaus hilfreich, manchmal auch die einzige umsetzbare Möglichkeit, einen Konflikt zu schlichten, am Ende bekommt aber niemand, so ganz das, was er eigentlich bräuchte. Wenn möglich, ist es also noch besser, zu Unden.
Beim Unden nämlich werden die zugrundeliegenden Bedürfnisse aller Parteien erfüllt.

Beim Unden suchen wir keinen Mittelweg, sondern einen Alternativweg, der die Bedürfnisse zusammenbringt. Sei es durch das simple Zusammenführen der Wünsche oder durch andere Alternativen, die die Bedürfnisse hinter den Wünschen ebenso abdecken.

Das wichtigste dabei ist das Erkennen von Bedürfnissen. Was generell ein sinnvoller erster Schritt ist, wenn wir Konflikte lösen wollen. Welches Bedürfnis soll mit dem Wunsch oder dem Verhalten erfüllt werden? Kann es eventuell anders erfüllt werden?

„Ein klassisches Entgegenkommen. Beim Unden versuchen wir hingegen eine Lösung zu finden, die die Bedürfnisse achtsamer betrachtet.“

Nehmen wir eine typische Konfliktsituation: Es ist spät, mein Kind möchte mit mir spielen, statt schlafen, aber ich will allmählich meine Ruhe. Die Erziehungskarte „Du gehst jetzt ins Bett, weil ich es sage“, will ich nicht ausspielen, also könnten wir einen Kompromiss finden: Noch ein Spiel, dann ist aber Schluss. Ein klassisches Entgegenkommen. Beim Unden versuchen wir hingegen eine Lösung zu finden, die die Bedürfnisse achtsamer betrachtet. Hat mein Kind das Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Nähe und ich nach Entspannung, könnten wir uns ins Familienbett kuscheln, oder mit Decken und Kissen auf den Boden, meine Tochter könnte dort etwas spielen und ich mich ausruhen. Oder mir geht es gar nicht so sehr um die Ruhe, sondern um Zeit für mich – Dann könnte ich etwas für mich tun und mein Kind dazu einladen, dabei in meiner Nähe zu sein, solange sie noch wach bleiben mag. Gerade am Abend ist hier in der Regel das Bedürfnis meiner Tochter groß, einfach nochmal Nähe vor dem Einschlafen zu tanken.

Häufig ist bei meiner Tochter auch das Bedürfnis nach Selbstbestimmung/Autonomie Kern unserer Konflikte – Sie will ganz einfach selber entscheiden, anstatt meinen Wünschen nachzukommen. Meistens hilft es dann ihr Bedürfnis mit meinem zu unden, indem ich ihr mein Bedürfnis schildere und sie frage, was wir tun können. Schon das einbezogen werden in die Entscheidung erfüllt ihr Bedürfnis: Der Konflikt löst sich auf.

Auf Augenhöhe Lösungen finden
Wenn wir Unden kann eine Situation sehr unterschiedliche Lösungen haben, je nachdem, um welche Bedürfnisse es geht, und auf welche Ideen wir uns einlassen können.

Und ja: In der Theorie klingt das leichter. Manchmal kommen wir in der Praxis vielleicht auch gar nicht zu einem perfekten Ergebnis. Weißt du was? Das ist okay. Ich glaube aber, alleine schon, dass wir uns bemühen eine Lösung auf Augenhöhe zu finden, anstatt einen faulen Kompromiss durchzusetzen, der -sind wir ehrlich- meistens zum größeren Nachteil fürs Kind ausfällt, ist für uns und unsere Kinder von großem Wert. Es gibt ihnen nämlich Gewissheit, ernstgenommen, verstanden und gesehen zu werden.

Unden ist gar nicht immer einfach und erfordert etwas Übung und Kreativität.“

Unden ist gar nicht immer einfach und erfordert etwas Übung und Kreativität. Es lohnt sich, auf Verbote und Fremdbestimmung zu verzichten, ungemütliche Kompromisse zu hinterfragen, und zu überlegen, wie wir Zusammenfinden können. Über Konflikte und die zugrundeliegenden Bedürfnisse nachzudenken, in uns selbst und unsere Kinder genauer zu horchen, und Konfliktlösungen zu finden, die unsere Bedürfnisse decken, ist nämlich am Ende für uns alle wertvoll. Und: Wir geben unseren Kindern damit letztlich eine nachhaltige Strategie an die Hand, sich rücksichtsvolle UND selbsterfüllende Lösungen zu überlegen, wenn ihre Bedürfnisse mit denen anderer Kollidieren. Xx Fiona

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Fiona von Unverbogenkindsein.de auf sindsokleinehaende.net

Fiona Lewald ist Mama einer dreijährigen Tochter. Auf www.unverbogenkindsein.de schreibt sie über den Verzicht auf Erziehung, kindergartenfrei und andere Elternthemen.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Jenny

    Ganz toller Artikel! Besonders die Erklärung zum Unden und die Beispiele fand ich super. 🙂

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