Ein Gastbeitrag von Fiona Lewald, unverbogenkindsein.de
„Aber es hat uns doch auch nicht geschadet““, höre oder lese ich häufig von Eltern, die bestrafen und schimpfen als Reaktion auf unpassendes kindliches Verhalten verteidigen. In der Regel handelt es sich um Eltern, die als Kinder selber erzogen wurden.
Warum Strafen doch schaden
Tatsache ist, Strafen (und das Androhen von Strafen) schaden doch.
Sie hinterlassen eine Spur, unmittelbar, aber auch langfristig. Dass einst selber bestrafte Leute heute davon ausgehen, dass Strafen im Umgang mit Kindern legitim sind, sogar das Mittel der Wahl sind, ist eine dieser Spuren. Sie geben alles das weiter.
Zunächst haben Strafen/Strafandrohungen und Schimpfen einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Kinder. Beide Methoden zielen in erster Linie darauf ab, Gehorsam einzufordern. Das ist weder förderlich für die Lösung von Problemen, noch für die Bindung zum Kind. Stellen wir uns vor, für eine gute Bindung braucht es einen Tank gefüllt mit positiven verbindenden Emotionen. Zuwendung. Vertrauen. Trost. Geborgenheit. Sowas eben. Strafen und Schimpfen leeren diesen Tank. Sie stellen sich GEGEN das KInd, statt uns zu binden. Das Kind fühlt sich schlecht, ungeliebt und sucht idR die Schuld bei sich.
Kinder tun das. Vor allem kleine Kinder.
Sie lieben ihre Eltern bedingungslos und fragen sich, was sie falsch machen.
Kinder hinterfragen die Methoden ihrer Eltern nicht.
Oft auch dann nicht, wenn sie selbst Eltern werden.
„Probleme lösen, tun Strafandrohungen und Schimpfen auch nicht, auch wenn das oberflächlich so scheint.“
Probleme lösen, tun Strafandrohungen und Schimpfen auch nicht, auch wenn das oberflächlich so scheint. Zwar hört das Kind vermutlich mit dem unpassenden Verhalten auf – das passiert aber aus Angst vor der Strafe oder eben dem Verlust der Bindung. Das eigentliche Problem wird in vielen Fällen unkommentiert, ungelöst stehen gelassen. Auch eine Strategie, die dem Kind hilft, zum Beispiel Emotionen zu regulieren, bleibt aus.
Der Erfolg der Strafe ist nur kurzfristig. Langfristig entwickelt das Kind keine (eigenen) Lösungsmuster für Konflikte.
Wenn wir ehrlich zu uns sind, ist uns das auch klar. Strafen und Schimpfen, aber auch Liebesentzug oder Drohungen wie „Dann gehe ich ohne dich!“ arbeiten mit Angstmechanismen und Gehorsamsprinzipen, die das Machtgefälle zwischen Eltern und Kind ausnutzen. Nichts davon hilft einem Kind, Situationen einzuschätzen und zu verstehen.
Schauen wir uns zum Beispiel eine typische Situation aus der Kinderbücherei. Meine Tochter und ich sind aktuell häufig in der Bücherei unserer Stadt. In der Kinderbücherei gibt es auch einen Spielbereich, aber zu lautes und wildes Toben ist nicht erwünscht. Ich kriege allerlei Situationen mit, in denen Eltern ihren spielenden, hüpfenden, rennend Kindern also eine Strafe androhen. In den allermeisten Fällen heißt es dann (nicht weniger laut übrigens!), dass das Kind nach Hause muss, wenn es nicht sofort ruhig ist. Manche Eltern setzen noch einen drauf: „Gespielt wird dann auch nicht mehr!“ Oder so.
Oberflächlich betrachtet eine logische Konsequenz. Tatsächlich eine Strafe. Tatsache ist nämlich, dass die einzige folgerichtige Konsequenz wäre, die Bücherei solange zu verlassen, bis wir es wieder schaffen, ruhiger zu sein. Aber Heimgehen ist eine Strafe. Nicht mehr Spielen, ins Bett müssen, nie mehr wieder in die Bücherei dürfen sowieso. Und alles ziemlich ausweglos für ein (kleines) Kind. Denn: Im Endeffekt ist es machtlos.
Machtlosigkeit stellt uns mit dem Rücken an die Wand. Das Kind hat eigentlich keine andere Wahl als zu gehorchen, wenn es der (erneuten) Strafe entgehen will. Es gehorcht also -im besten Fall für den Erziehenden- aus Angst, und büßt etwas Bindung ein. Es ist blauäugig zu glauben, dass die Bindung (wenngleich die zwischen Eltern und Kindern unheimlich viel aushält) durch negative Erfahrungen keine Risse abbekommt.
Ohne Strafen nur noch JA sagen? Übers Begleiten statt Bestrafen
Das schwierige ist, das viele Leute erzieherische Methoden verinnerlicht haben. Sie haben sie in ihrer Kindheit erlebt, und aus Selbstschutz MÜSSEN wir sie quasi gutheißen. Der Schritt sich einzugestehen, dass es anders geht, dass die anderen Eltern hätten anders mit uns umgehen können, ist ein schmerzlicher. Aber er ist auch der Beginn einer Reise: Nämlich die Reise in die Erziehungsfreiheit, jenseits vom Bestrafen.
Aber heißt der Verzicht auf Strafen/Strafandrohungen und Schimpfen im Umkehrschluss, dass Eltern nur noch bejahend und selig lächelnd, manchmal schulterzuckend um ihre Kinder wirbeln müssen, oder sich gar nicht erst in der Bücherei blicken lassen?
Meine Tochter kann nicht alles tun und lassen, was sie will. Ich habe Werte, die ich lebe und meinem Kind vorlebe. Werte, die ich beim einzuhalten, meinem Kind mitgebe. Ständig. – auf Strafen/Strafandrohungen zu verzichten, macht mich nicht handlungsunfähig, wenn meine Tochter etwas tut, was gegen meine Werte (oder generelle Normen oder (meine) Sicherheitsstandards) geht. Ich kann mit meinem Kind reden. Und auch, sie hochzunehmen oder ihr etwas abzunehmen, widerspricht nicht grundsätzlich Erziehungsfreiheit. -Das Wichtigste nämlich, sind immer die Kommunikation und die Haltung.
Ich begegne meiner Tochter mit einer positiven Grundhaltung. Ich weiß, dass sie das, was sie tut, nicht tut, um mich oder jemanden zu verärgern, sondern für sich. Sie drückt etwas aus. Sie zeigt ihre Emotionen oder Bedürfnisse oder ihre Not. Manchmal weiß sie etwas auch einfach (noch) nicht besser, oder verfolgt einen ganz bestimmten Plan. Mache ich mir das bewusst, kann ich mein Kind anschauen und ihrem Einfall mit Wohlwollen begegnen, ja auch dann, wenn sie etwas tut, was so gerade absolut nicht geht.
Das ist übrigens nicht einfach.
Durchatmen, innehalten und uns überlegen, was unser Kind wirklich bezweckt, helfen!
Dann können wir kommunizieren. Wir können darüber sprechen, was gerade passiert (ist). Darüber, was der Zweck sein sollte UND darüber, warum das gerade nicht geht. Und dann kann ich mir Klarheit, wenn nötig sagen, dass wir ihren Plan nicht (nochmal) umsetzen. Ich brauche dazu keine Bestrafung und kein Schimpfen, die sowieso nur Macht demonstrieren, aber nichts besser machen. Ich kann Frust und Wut begleiten, und die Verantwortung für diese Emotionen tragen, indem ich sie meinem Kind zugestehe. Und ich kann wiederholte Versuche „Unsinn“ zu machen, begleiten, abfangen, umlenken. Nochmal reden. Und nochmal. Denn DAS gehört eben zum Elternsein dazu!
Und vorleben natürlich auch.
„Klingt nicht nach einem gemütlichen Spaziergang? Ist es auch nicht.“
Klingt nicht nach einem gemütlichen Spaziergang? Ist es auch nicht. Ich verrate dir was, ist der Weg über Strafen und Schimpfen aber auch nicht, den es gehören Liebesentzug und viele ignorierte Tränen dazu, um zu wirken –Was den bittereren Beigeschmack hat.
Nehmen wir nochmal das Kinderbücherei Beispiel. Meine Tochter hüpft also von den Stufen in der Spielecke und kreischt, lauter und häufiger als tolerierbar. Die ersten Leute schauen hoch. Der*die Bibliothekar*in auch. Ich fange sie ab und gehe zu ihr in die Knie. „Dein Spiel sieht nach ganz viel Spaß aus! Weißt du, für die Bücherei ist das Spiel leider zu laut. Mir ist es wichtig, dass wir Rücksicht auf die Leute nehmen, die nicht gestört werden wollen. Sollen wir raus gehen und draußen Stufen zum Springen suchen? Wir können später wiederkommen. Oder willst du lieber hier bleiben und etwas leiser spielen?“ Klingt anders als ein „Du musst leise sein! Wenn du nicht leise bist, gehen wir nach Hause!“, oder? – Und zeigt dem Kind trotzdem, was geht und was nicht.
Statt einer Drohung wird eine Lösung angeboten.
Spoiler: Natürlich hängt mein Kind mir weder stets an den Lippen noch findet sie immer sofort gefallen an meinen Lösungsvorschlägen. Da liegt es dann bei mir, Ruhe zu bewahren, und eine Entscheidung zu treffen, die uns je nach Situation gerade hilft. Und wenn es eine Entscheidung ist, die meinem Kind nicht gefällt, liegt es ebenso bei mir ihren Frust darüber ernst zu nehmen und zu begleiten, anstatt sie dafür zu verurteilen. Denn auch zwischen „Selber Schuld, ich habe es dir ja gesagt!“ und einem „Es tut mir leid, ich wollte das nicht so lassen. Ich weiß, du bist jetzt traurig. Das ist okay“, liegt ein Unterschied. Und zwar kein kleiner, sondern ein großer. Einer, der Bindung ausmacht!
Fiona Lewald
www.unverbogenkindsein.de
Fiona Lewald
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